Robert Linhart
Eingespannt
Ein Erlebnisbericht aus der 2CV-Produktion
Im Spätsommer 1968 ist in Paris wieder Ruhe eingekehrt. Nach den Protesten vom Frühjahr, die die französische Hauptstadt in bürgerkriegsähnliche Zustände versetzt hatten, scheint nun - am Ende der Sommerferien - alles wieder seinen gewohnten Gang zu gehen. Für die Automobilindustrie gilt dies allerdings nur eingeschränkt, denn die streikbedingten Fertigungsausfälle vom Frühjahr haben zu gravierenden Produktionsrückständen geführt. Um die Rückstände abzuarbeiten, müssen nun dringend neue Arbeitskräfte eingestellt werden. Citroën ist als Hersteller kleiner Fahrzeuge durch zwei Faktoren besonders betroffen: Zunächst ist gerade der Bedarf an Kleinwagen wie Ente und Dyane besonders hoch. Diese werden jedoch noch überwiegend in personalintensiver Handarbeit hergestellt. Auch Citroën muss also - für die Pariser 2CV-Werke Ivry und Levallois - neues Personal einstellen.
In Kreisen Pariser Intellektueller begreift man die massenhaften Einstellungen als Chance, die im Frühjahr fehlgeschlagene Revolte nun direkt in die Fabriken zu bringen. Man will die vermeintlich unterdrückten Arbeiter vom Sinn und Zweck gesellschaftlicher Veränderungen Überzeugen. Und zwar genau an der Wurzel allen Übels: An den Fließbändern. Auch Robert Linhart ist einer dieser "Betriebsarbeiter". Als Hilfsarbeiter ohne Zeugnisse und Qualifikationen lässt sich der ausgebildete Lehrer bei Citroën einstellen. Für die Dauer eines Jahres ist er nun "eingespannt" in die Citroën- Produktion. Ein Établi, wie die Öffentlichkeit damals jene Intellektuellen nennt, die in Industriebetrieben arbeiten.
"Und immer das langsame unerbittliche Gleiten des wachsenden 2CV."
Für Linhart wird der freiwillige Arbeitsaufenthalt zur Konfrontation mit der Realität in einem Automobilwerk. Der monotone und scheinbar undurchbrechbare Takt des Fließbandes, vom Akkord diktierte Stückzahlen und ein alles kontrollierendes Überwachungssystem vermitteln Linhart unzählige Eindrücke, die - verbunden zu einer packenden Erzählung - ein aussagekräftiges Bild vom Alltag in der Automobilproduktion der sechziger Jahre geben.
Da ist Mouloud, an dessen Arbeitsplatz Linhart gleich am ersten Tag vor den vermeintlich "leichten Tätigkeiten" kapitulieren muss: Während es dem aus Algerien stammende Arbeiter ganz selbstverständlich von der Hand geht, mit ein paar Bewegungen die Nähte der gerade zusammen gepunkteten Karossen (man nennt sie dort "Kisten") zu verzinnen, scheitert Linhart gnadenlos. Er wird nach nur einem Tag in eine andere Abteilung versetzt. Dort befindet sich die Endmontage der 2CV-Türen. Doch auch hier steht schon nach einer halben Stunde fest, dass Linhart angesichts des Akkords keine Zukunft an diesem Arbeitsplatz haben wird. Erst die dritte Station bringt erste Erfolge: Zwar sind schon am Abend des ersten Arbeitstages beide Daumen blutig und verschlissen, doch das Tagespensum von fünfundsiebzig Sitzen, für die er dreitausendsiebenhundertfünfzig Mal die kleinen Metallhaken durch den Stoff pressen muss, erreicht er schnell.
Linhart ist also schnell "etabliert". Und bleibt es für genau ein Jahr. Ein Jahr, das ihn quasi alle Stufen der 2CV-Produktion durchlaufen, und ihn mit unterschiedlichsten Menschen zusammen treffen läßt.
Quinzaine littérraire schrieb, man bewundere Linhart als gleichermaßen missratenen Arbeiter, wie als großen Schriftsteller. Sein Buch nehme den gleichen Rang ein wie seinerzeit "Germinal" von Emile Zola. Und selbst Le Monde ließ verlauten, etwas Anklagenderes habe man nie gelesen. Und es spiele sich nicht etwa in Sibirien sondern vor unseren Augen ab.
Text von Jan Eggermann (erschien erstmals 2003 auf garage2cv.de)
L'Etabli, ce titre désigne d'abord les quelques centaines de militants intellectuels qui, à partir de 1967, s'embauchaient, " s'établissaient " dans les usines ou les docks. Celui qui parle ici a passé une année, comme O. S. 2, dans l'usine Citroën de la porte de Choisy. Il raconte la chaîne, les méthodes de surveillance et de répression, il raconte ce que c'est, pour un Français ou un immigré, d'être ouvrier dans une grande entreprise parisienne. Mais l'Etabli, c'est aussi la table de travail bricolée où un vieil ouvrier retouche les portières irrégulières ou bosselées avant qu'elles passent au montage. Ce double sens reflète le thème du livre, le rapport que les hommes entretiennent entre eux par l'intermédiaire des objets : ce que Marx appelait les rapports de production.